Interview mit Florian Knaus

Quelle: Bildungs-Schweiz.ch / Anna Epp

Anna Epp von Bildung-Schweiz.ch (vielen Dank Anna!) hat mit unserem time4-Vorstandsmitglied Florian Knaus ein spannendes Interview geführt. Florian hat vor über 10 Jahren seine eigene Ausbildung selbst gestaltet. Einige Jahre später hat Florian den time4-Bildungsverein mitgegründet. Im Interview erzählt Florian von seinen Erfahrungen, Herausforderungen und Gedanken während seiner persönlichen Ausbildungszeit und über seine heutige Arbeit bei time4.

So gelingt Ausbildung in Eigenregie

Florian Knaus hat einen alternativen Bildungsweg gewählt und sich in Eigenregie ausgebildet. Heute steht er mit beiden Beinen im Berufsleben und begleitet Jugendliche, die einen ähnlichen Bildungsweg verfolgen wie er.

Er entschied sich nach der obligatorischen Schulzeit für einen individuellen Bildungsweg und nahm seine Ausbildung selbst in die Hand. Er vertiefte sein Wissen in unterschiedlichsten Bereichen: Sprachen, Handwerke, PsychologiePädagogikMusik und Sport. Florian hat sich vieles selbst beigebracht, sich aber auch durch verschiedene Quellen fehlendes Fachwissen angeeignet und zwei pädagogische Weiterbildungen absolviert. 

Begeisterung und Neugier sind Florians Erfolgsrezept. Foto Evelina Knaus

Als Motorgerätemechaniker fasste er Fuss im Berufsleben und war später als Lernbegleiter tätig. Mittels Validierungsverfahren hat Florian mittlerweile das EFZ als Fachmann Betreuung erlangt und unterrichtet heute als Primarlehrperson an einer Privatschule. Inspiriert von seinem eigenen Weg, hat Florian vor fünf Jahren den Verein time4 mitgegründet und begleitet seither Jugendliche auf ihrem individuellen Bildungsweg. Florian berichtet im Interview, wie er seine Ausbildung selbst gestaltete, welche Herausforderungen er zu meistern hatte und wie er heute Jugendliche unterstützt.

Interview

Wann und wie hast du gemerkt, dass eine Lehre oder der Besuch einer Mittelschule für dich nicht der richtige Weg ist?

Im Alter von 15 Jahren habe ich bei meinen beiden älteren Brüdern und bei Kollegen beobachtet, dass ihnen während ihrer klassischen Ausbildungen – die meisten haben eine Lehre absolviert – für die Verfolgung ihrer persönlichen Ideen und Interessen meist die Zeit fehlte und ihnen teilweise auch echte Begeisterung und Kreativität abhandenkam. Es war mir wichtig, dass ich vielseitig arbeiten und lernen kann. Ich wollte mich nicht auf einen Beruf eingrenzen und mich nicht für eine mehrjährige Ausbildung im Gesamtpaket entscheiden. Zentral für mich war auch, dass ich in den Dingen, mit denen ich mich beschäftigte, den Sinn sah. Ich entschied mich, keine Lehre zu absolvieren und auch keine weiterführende Schule zu besuchen, weil ich sonst für viele meiner Interessen im Leben keine Zeit gehabt hätte.

 

Wie haben deine Eltern darauf reagiert? Wie haben sie dich bei deinem Entscheid unterstützt?

Zu Beginn war mein Entscheid für meine Eltern natürlich eine grosse Herausforderung. Sie haben niemanden gekannt, der nach der obligatorischen Schulzeit seine eigene Ausbildung gestaltet hat und hatten das Gefühl, dass es für den Einstieg in die Berufswelt einen Lehrabschluss oder ein Studium braucht. Sie haben mich aber immer unterstützt. Und was für diesen Bildungsweg besonders wichtig ist: Sie hatten Vertrauen in das Leben und in mich.
 

Wie hast du deine Ausbildung in Eigenregie gestaltet? Wie muss man sich einen solchen Ausbildungsweg vorstellen?

Für mich gab es keinen Unterschied zwischen Ausbildung  und Freizeit. Ich habe mich die ganze Zeit mit Themen auseinandergesetzt, welche mich interessierten. Meine Arbeit war gleichzeitig mein Hobby. Ich habe vieles selbst ausprobiert und mir bei Bedarf Fachwissen in meinem Umfeld, bei Berufsleuten, im Internet oder in Kursen und Seminaren geholt. Ich habe aus meinen gemachten Fehlern gelernt. Dank meinem echten Interesse an verschiedenen Themen ist der Lernprozess meist wie von selbst gelaufen. Natürlich gab es auch Herausforderungen, aber meine Begeisterung war Antrieb genug. Externe Motivation war nicht notwendig.

 

Wie schwierig war es, nach deinem individuellen Ausbildungsweg im Berufsleben Fuss zu fassen? Braucht es irgendwann doch Zertifikate und Diplome oder geht es auch gut ohne?

Ich habe es nicht als schwierig empfunden, im Berufsleben Fuss zu fassen. Natürlich vermitteln einem Diplome und Zertifikate Sicherheit. Aus meiner Sicht zeigen sie Arbeitgebenden jedoch nicht wirklich auf, welche Kompetenzen jemand hat. Unternehmungen suchen Angestellte, die motiviert sind und Verantwortung übernehmen. Und dies habe ich auf meinem Weg zu 100 Prozent gelebt. Mein selbstbestimmter und von Eigenverantwortung geprägter Lebensweg hat Arbeitgebende deshalb interessiert.

 

Wie nimmst du die Akzeptanz der Gesellschaft für den Bildungsweg, den du gewählt hast, wahr? 

Es freut mich zu beobachten, dass die Akzeptanz und das Interesse in der Schweizer Bevölkerung an individuellen und freien Bildungswegen wachsen. Natürlich ist auch heute beispielsweise der time4-Bildungsweg für die meisten noch unbekannt und erste Reaktionen sind teilweise auch kritisch. Aber an unzähligen time4-Infoanlässen und meinen Vorträgen über meinen Lebensweg stelle ich fest, dass nach einer anfänglichen Skepsis sich Freude und Interesse am freien Lernen durchsetzen.

 

Was waren die grössten Herausforderungen auf deinem freien Ausbildungsweg? 

Selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu lernen, tönt toll und ist es auch – es ist aber kein einfacher Weg. Täglich musste ich mich selbst organisieren und mich um meine Interessen «kümmern». Ich musste mich mit mir selbst beschäftigen und herausfinden, was ich wirklich wollte. Dadurch habe ich mich selbst sehr gut kennengelernt. Heute kommen mir die gemachten Erfahrungen und erlangten Kompetenzen jedoch sehr zu Gute.

Wenn ich heute auf meine Zeit nach der obligatorischen Schulzeit zurückblicke, hat mir am Meisten das «Gemeinsame» gefehlt. Zu dieser Zeit hätte ich mich gerne vermehrt auch mit anderen Jugendlichen, welche einen freien Bildungsweg verfolgten, ausgetauscht. Aus diesem Grund haben wir den time4-Bildungsweg heute so konzipiert, dass neben der individuellen Begleitung und Unterstützung auch das soziale Zusammensein mit anderen Jugendlichen im Zentrum steht.

 

Lernen «ohne Vorgaben» hört sich erstmal verlockend an. Doch sind Jugendliche im Alter von ca. 16 Jahren bereits reif genug, um ihre «Ausbildung» selbst zu gestalten?

Nach unserer Erfahrung ganz klar ja. Natürlich ist für die einen Jugendlichen das Selbstmanagement zu Beginn eine Herausforderung. Aber bei time4 begleiten wir die Jugendlichen auf ihrem Entwicklungsweg und ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, sich Kompetenzen wie Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit anzueignen.

 

Und was, wenn nicht genügend intrinsische Motivation vorhanden ist?

Nicht alle Jugendlichen, welche bei time4 starten, kennen sich und ihre eigenen Interessen gleich gut. Viele nutzen explizit time4, um die eigene Begeisterung und intrinsische Motivation (wieder) zu entdecken und dann darauf aufbauend dieser zu folgen. Aus eigener Erfahrung und natürlich durch die Begleitung von Kindern und Jugendlichen weiss ich, dass es nicht schwierig ist, sich zu motivieren, wenn man von etwas begeistert ist. Es geht also darum, die eigene Begeisterung zu entdecken. Und ich bin überzeugt, dass alle Menschen eine Begeisterung in sich tragen, auch wenn momentan das «grosse Feuer» nicht sichtbar, sondern nur ein ganz «kleines Flämmchen» halb versteckt vorhanden ist. In diesem Falle gilt es, die Jugendlichen zu unterstützen, ihr «Flämmchen» zu entdecken und daraus wieder ein Feuer werden zu lassen.

 

Wenn du nochmals im Alter von 16 Jahren (nach der obligatorischen Schulzeit) wärst, was würdest du heute anders machen? Würdest du denselben Weg wählen?

Ganz klar würde ich wieder denselben freien und selbstbestimmten Bildungsweg wählen. Ich habe damit sicher nicht den einfachsten Weg gewählt. Aber ich habe enorm viel für mein weiteres Leben profitiert. Mit meinem heutigen Wissen und meinen Erfahrungen würde ich den Weg mit viel mehr Gelassenheit und ganz ohne Sorgen gehen. Gleichzeitig würde ich mich verstärkt darum kümmern, mich mehr mit anderen Jugendlichen auf individuellen Lernwegen auszutauschen.

 

Herzlichen Dank an Anna Epp und Bildung-Schweiz.ch für die Veröffentlichung des Interviews.

https://www.bildung-schweiz.ch/ratgeber/so-gelingt-ausbildung-in-eigenregie

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